Geschichte vom Schmied

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Es war einmal ein Schmied, der hieß Wilhelm und hatte sich ganz aufs Anfertigen von Ritterrüstungen verlegt. Seine Erzeugnisse waren weder besonders gut noch sonderlich schlecht - es waren einfach ganz normale Rüstungen. Irgendwann jedoch hatte der arme Wilhelm (der landauf, landab nur als Willi bekannt war) eine große, ja eine beispiellose Vision: Er wollte seine Panzerungen so angenehm tragbar, federleicht und dennoch solide machen, dass die Rittersleute' im ganzen Lande nur noch mit seinen Rüstungen kämpfen wollten.

Durch eine Reihe ebenso rätselhafter wie undurchsichtiger Manöver brachte er es im Laufe der Zeit und unter dem steten Gezeter seiner Konkurrenten in nah und fern tatsächlich zum größten Hersteller von Rüstungen. Sein wichtigster Rivale, der Schmied vom blauen See, mit dem er früher sogar eine gemeinsame Feueresse geteilt hatte, zeigte zwar ebenfalls ein paar neue Schöpfungen, die wurden jedoch allesamt große Reinfälle. Und auch der rotgezipfelte Wicht vom großen Salzsee, einst ein scharfer Widersacher, konnte ihm nach Anfangserfolgen nicht auf den Fersen bleiben. Wieder und wieder musste unser Schmied deswegen seine Werkstätten hinter den rockigen Bergen vergrößern und neue Hilfsschmiede in großer Zahl einstellen.
Aber ach! es war schwer, viel zu schwer! Unter all den von Neugier erfüllten Rittern, welche voller Wissbegier und Eifer herbeigeeilt waren, konnte kaum einer die gewichtige Rüstung überziehen geschweige denn damit kämpfen! Jetzt war guter Rat teuer: Das alte Modell wollte keiner mehr haben, für die neue Rüstung waren die meisten Ritter aber einfach zu schwach auf der Brust. Und zu allem Übel waren seit einiger Zeit verbesserte Harnische des Schmieds vom blauen See und des Rotzipfligen auf dem Markt, die viel Augenmerk auf sich zogen. Der Schmied und seine klugen Ratgeber beschlossen nach vielem Gerede, drei Dinge zu tun: Erstens flüsterten sie den etwas stattlicheren Rittern unter der Hand ein, sie sollten doch etwas Kraftsport betreiben, im Laufe der Zeit würde es dann schon irgendwie gehen. Außerdem versprachen sie der versammelten Ritterschaft (die eigentlich keine weiteren Versprechungen hören wollte, sondern lieber brauchbare Rüstungen gesehen hätte), dass sie alles unternehmen würden, koste es was es wolle, um das Gewicht des neuen Modells herunterzubekommen, ohne dabei jedoch seine Wehrhaftigkeit preiszugeben.

Und drittens gebot unser armer Schmied seinen Hilfsschmieden, das abgetragene und mittlerweile schon ziemlich angerostete Uhrmodell nochmals aus der Antiquitätentruhe zu holen und durch das Anbringen allerhand obskurer Verbesserungen und Verschönerungen wenigstens den Anschein einer neuen und starken Rüstung zu erwecken. Leider stellte sich im Kreise seiner engsten Ratgeber alsbald heraus, dass Entwurf und Verwirklichung des alten Exemplars einfach zu minderwertig waren: Selbst mit den raffiniertesten Tricks und Schlichen, derer sich die Hilfsschmiede in gewaltiger Zahl zu befleißigen hatten, konnte man kaum eine fortschrittliche, den Ansprüchen der Zeit gewachsene Rüstung daraus schmieden.
Und so sitzen sie heute noch hinter den rockigen Bergen und brüten einerseits nächtelang über allerlei öffentlichen Bekanntmachungen und Verschleierungsversuchen, um aller Welt klarzumachen, warum die neue, leider allzu gewichtige Kreation nun leider doch nicht für jeden Ritter geeignet sei, sondern nur von einer kleinen Minderheit getragen werden könne. Andererseits versuchen sie ohne Rast und Ruhe, ihren bejahrten und abgewetzten Plunder irgendwie aufzumöbeln, obgleich sie nur zu gut wissen, dass dabei nichts Brauchbares herauskommen wird. Und deswegen sollte dieses kleine Märchen nicht »Schlaflos in Seattle«, sondern »Schlaflos für Chicago« heißen.